Neuregelung der Sterbehilfe

Sterbehilfe: Deutscher Ärztetag ändert Musterberufsordnung

Der 124. Deutsche Ärztetag hat mit breiter Mehrheit das in der Musterberufsordnung für Ärzte geregelte Verbot der Suizidhilfe aufgehoben. Ärzte sollen demnach künftig frei und allein auf Basis ihres Gewissens entscheiden dürfen, ob sie Suizidwillige beim Sterben unterstützen.

 

§ 16 Musterberufsordnung

Beistand für Sterbende

Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.

 

Mit der Änderung von § 16 der Musterberufsordnung reagierte der Deutsche Ärztetag auf ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts aus 2020. In diesem Urteil hatten die obersten deutschen Verfassungsrichter § 217 StGB, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellte, für nichtig erklärt und zugleich kritisiert, dass die Musterberufsordnung und die Berufsordnungen der Landesärztekammern den ärztlich assistierten Suizid kategorisch verbieten.

Allerdings sieht der Deutsche Ärztetag die Hilfe zur Selbsttötung auch nach dem jüngsten Beschluss ausdrücklich nicht als ärztliche Aufgabe an: Mediziner könnten nicht gegen ihren Willen zur Suizidhilfe verpflichtet werden. Ihre Aufgabe sei es vielmehr, Leben zu erhalten.

 

§ 1 Musterberufsordnung

Aufgaben der Ärztinnen und Ärzte

[…] Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken.

 

Was darüber hinaus zu beachten ist: Die Musterberufsordnung ist – wie ihr Name schon sagt – lediglich ein „Muster“. Sie stellt aber kein unmittelbar geltendes Recht für die Ärztinnen und Ärzte dar. Diese müssen sich vielmehr an die Berufsordnung ihrer jeweiligen Landesärztekammer halten. Somit ändert sich durch die Streichung von § 16 Satz 3 der Musterberufsordnung allein noch nichts an der geltenden Rechtslage. Die Landesärztekammern müssen hier vielmehr noch nachziehen und ihre Berufsordnungen dementsprechend anpassen. Wie schnell dieser Prozess von statten gehen wird, lässt sich derzeit nicht abschätzen.

 

Unklar ist auch, wie es auf Bundesebene mit dem Gesetzgebungsverfahren zur Neuregelung der Sterbehilfe weitergeht. Mittlerweile liegen vier Diskussionsentwürfe vor:

  • Entwurf 1: Entwurf für ein „Gesetz zur Regelung der Suizidhilfe“ von Katrin Helling-Plahr (FDP), Dr. Karl Lauterbach (SPD), Dr. Petra Sitte (Linke), Swen Schulz (SPD) und Otto Fricke (FDP)
  • Entwurf 2: Entwurf für ein „Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“ von Renate Künast und Katja Keul (beide B90/Grünen)
  • Entwurf 3: Eckpunktepapier von Dr. Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Dr. Kirsten Kappert-Gonther (B90/Grünen), Stephan Pilsinger (CSU), Benjamin Strasser (FDP), Kathrin Vogler (Linke)
  • Entwurf 4: Diskussionsentwurf des Bundesgesundheitsministeriums

Am 21.04.2021 fand zu diesem Thema eine Orientierungsdebatte im Bundestag statt (s. auch Plenarprotokoll 19/223). Experten halten es für unwahrscheinlich, dass es noch in dieser Legislaturperiode zu einer gesetzlichen Neuregelung der Sterbehilfe kommt.

 

von Rechtsanwältin Dr. Yvonne Schuld, LL.M.