Elektronische Patientenakte gestartet
Aufgrund der aktuellen Corona-Impfkampagne weitgehend unbemerkt geblieben ist der bundesweite Start der elektronische Patientenakte (ePA) zum 1. Januar 2021. Im Folgenden berichten wir über die wesentlichen Eckdaten der ePA und aktuelle rechtliche Entwicklungen:
Was hat es mit der ePA auf sich?
- Bei der ePA handelt sich um ein digitales System, in dem Patientendaten, wie Diagnosen, Arztbriefe, Befunde, MRT-/Röntgenbilder, Medikationspläne, Allergien, Unverträglichkeiten, Überweisungen, Rezepte usw., online gespeichert und verwaltet werden können.
- Betroffen sind die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen und deren Leistungserbringer.
- Durch die ePA soll das deutsche Gesundheitswesen umfassend digitalisiert und vernetzt werden. Ziel ist es, die Gesundheitsversorgung zu verbessern, indem Patienten, (Zahn-)Ärzte, Krankenhäuser, Therapeuten und Apotheken schneller, einfacher und damit letztlich auch kostengünstiger auf relevante Gesundheitsdaten zugreifen können.
- Ganz konkret sollen Patienten und Leistungserbringer zukünftig insbesondere nicht mehr auf Papierdokumente angewiesen sein. Alle relevanten Daten sollen vielmehr jederzeit online abrufbar sein.
Beispiele: Rezepte oder Überweisungen müssen nicht mehr extra beim Arzt abgeholt werden, sondern sind direkt über die ePA abrufbar. Röntgenbilder müssen nicht mehr von einem Arzt zum nächsten Arzt getragen werden. Apotheken können einfacher auf Unverträglichkeiten prüfen.
Wie läuft die Einführung ab?
- Erste Planungen für die ePA gab es bereits im Jahr 2003 unter der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Aufgrund diverser Schwierigkeiten nahm das Projekt jedoch erst in den letzten Jahren wieder an Fahrt auf und wurde in mehreren Schritten gesetzlich geregelt.
- Seit 01.01.2021 haben gesetzlich Krankenversicherte grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf die ePA. Bis zum 31.03.2021 läuft in ausgewählten Arztpraxen jedoch zunächst noch eine Einführungs- und Testphase.
- Erst ab dem 01.07.2021 sind alle Ärzte verpflichtet, sich an die sog. Telematik-Infrastruktur anzuschließen.
- Ab 01.01.2022 gilt der Anschlusszwang auch für Krankenhäuser.
Wie funktioniert die ePA?
- Die Nutzung der ePA ist für die Versicherten freiwillig.
- Der Versicherte kann die ePA entweder online über eine von der jeweiligen Krankenkasse zur Verfügung gestellte App oder über die elektronische Gesundheitskarte nutzen.
- Die ePA muss zunächst vom Patienten selbst mit Informationen befüllt werden. Dokumente, die nur in Papierform vorliegen, müssen mit dem Handy oder Tablet eingescannt werden. Dass auch Ärzte die ePA bestücken und untereinander Daten ihrer Patienten austauschen, wird vorerst nur in einem Probebetrieb in ausgewählten Praxen getestet. Später sollen Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken usw. aber flächendeckend Daten in die ePA einstellen, verarbeiten und löschen können.
- Grundsätzlich bestimmen die Versicherten, welche medizinischen Informationen in die ePA hochgeladen werden und wer darauf zugreifen darf.
Welche Kritikpunkte gibt es an der ePA?
- Bei der ePA werden diverse Sicherheits- und Verschlüsselungstechniken eingesetzt. Trotzdem ist die Sicherheit der in der ePA gespeicherten Daten unter Fachleuten umstritten. Die zunehmend wachsende Datensammlung wird oftmals als „Honeypot“ (= „Honigtopf“) bezeichnet, für dessen Inhalt sich zahlreiche Dritte interessieren. Laut Berichten von BR und NDR entdeckten IT-Sicherheitsexperten erst im Dezember 2020 „gravierende Sicherheitslücken“. In mehreren Fällen hätten sie Patienten-Akten mit „trivialen Methoden“ hacken können und vollen Zugriff auf sensible Daten gehabt.
- Ein weiteres Datenschutzproblem ergibt sich beim sog. Berechtigungsmanagement der ePA: Aus technischen Gründen haben die Versicherten voraussichtlich erst ab 2022 die Möglichkeit, ihre Gesundheitsdaten „feingranular“ zu sortieren. Das bedeutet, einzelne Dokumente können von den Versicherten bislang nicht individuell gesperrt oder freigegeben werden. Die vollständige Souveränität des Patienten über seine eigenen Gesundheitsdaten besteht somit aktuell noch nicht.
- Kritisiert wird außerdem, dass die Abschaffung der „Zettelwirtschaft“ im Gesundheitswesen frühestens 2022 beginnt. Erst zu diesem Zeitpunkt sollen nämlich die digitalen Formate von Impfpass, Zahn-Bonusheft, U-Heft und Mutterpass sowie das E-Rezept startbereit sein.
- Patienten, die keinen Internetzugang haben oder wenig technikaffin sind, werden sich mit der ePA schwertun. Und solange Diagnosen, Befunddaten usw. noch nicht automatisch in die ePA eingespeist werden, dürften auch weitere Personengruppen (z.B. Pflegebedürftige) beim Umgang mit der ePA regelmäßig fremde Hilfe benötigen.
Die ePA vor dem Bundesverfassungsgericht
Vor Kurzem war die ePA auch Gegenstand zweier Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Die betroffenen Versicherten sahen sich durch die entsprechenden Vorschriften im SGB V in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Die Verfassungsrichter aber lehnten ab (BVerfG, Beschl. v. 04.01.2021, Az. 1 BvR 619/20 und 1 BvQ 108/20): Zum einen sei die Nutzung der ePA freiwillig, so dass der Beschwerdeführer eine Rechtsverletzung selbst abwenden könne, indem er die ePA einfach nicht nutze. Im Übrigen müssten zunächst die Sozialgerichte angerufen werden. Erst danach könnten verfassungsrechtliche Fragen geklärt werden.
Die Rechtsstreitigkeiten um die ePA dürften sich nach diesen Entscheidungen noch lange nicht erledigt haben. Teilweise wurde die ursprünglich vorgesehene Einwilligungserfordernis nämlich durch eine Widerspruchsmöglichkeit ersetzt. Außerdem dürfen die Krankenkassen inzwischen mehr Sozialdaten erheben und speichern. Die weitere Entwicklung der ePA bleibt also in vielen Bereichen abzuwarten. Sollten Sie als Patient oder Leistungserbringer Fragen zur ePA oder dem Gesundheitsdatenschutz allgemein haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
von Rechtsanwältin Dr. Yvonne Schuld, LL.M.