Krankenhaus muss Patientenakte kostenlos herausgeben
Das Landgericht Dresden hat ein wichtiges Urteil zum Auskunftsrecht von Patienten gefällt (LG Dresden, Urt. v. 29.05.2020, Az. 6 O 76/20). Die Richter entschieden, dass ein Krankenhaus gegenüber seinen Patienten dazu verpflichtet ist, diesen auf Anfrage ihre Patientenakte in elektronischer Form (PDF-Format) zur Verfügung zu stellen. Das Krankenhaus dürfe dafür kein Entgelt vom Patienten verlangen. Dies ergebe sich aus der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
Krankenhaus verlangte Kostenübernahme
Die Klägerin war im Krankenhaus behandelt worden und verlangte nach der Entlassung eine Ausfertigung ihrer Patientenakte. Sie bat um Übersendung der Akte im PDF-Format an eine von ihr benannte E-Mail-Adresse. Das Krankenhaus war hierzu aber nur gegen Übernahme der Kosten von knapp 10 EUR bereit.
Gericht: Patientenakte muss kostenlos herausgegeben werden
Nach Auffassung des Landgerichts Dresden darf ein Krankenhaus die Herausgabe der Patientenakte aber nicht von einer Kostenübernahme durch den Patienten abhängig machen. Begründung: Dieser habe gegen das Krankenhaus einen datenschutzrechtlichen Informationsanspruch, der eine einmalige kostenfreie Übersendung der Behandlungsdokumentation im PDF-Format beinhalte. Dies ergebe sich aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO, einer europarechtlichen Regelung. Zwar habe das Krankenhaus nach § 630g Abs. 2 Satz 1 BGB grundsätzlich einen Anspruch gegen den Patienten auf Ersatz der Kosten für Erstellung und Versand seiner Akte. Dies gelte aber nicht für die erstmalige Anfertigung und Herausgabe an den Patienten. Denn europäisches Datenschutzrecht habe an dieser Stelle Vorrang vor den Regelungen des BGB.
Versand der Patientenakte im PDF-Format zulässig
Patienten haben dabei das Recht, anstelle einer Kopie ihrer Behandlungsakte auch eine Übersendung im PDF-Format zu verlangen. Das Landgericht Dresden hat an dieser Stelle noch einmal klargestellt, dass der datenschutzrechtliche Informationsanspruch gem. Art. 15 Abs. 3 DSGVO auch für ein „gängiges elektronisches Format“ bestehe. Dies sei bei einem PDF-Dokument der Fall.
Krankenhäuser dürfen sich also nicht weigern, die Patientenakte als PDF zu übersenden. Aus Datenschutzgründen sollte der Versand jedoch unbedingt verschlüsselt erfolgen. Das entsprechende Passwort muss dem Patienten separat mitgeteilt werden (z.B. telefonisch).
Geltung auch für niedergelassene Ärzte
Das Urteil des LG Dresden findet zwar nur auf die Parteien des konkreten Rechtsstreits direkte Anwendung. Der Fall lässt sich jedoch auf die gesamte Ärzteschaft übertragen. So gilt die DSGVO auch für sonstige Erbringer medizinischer Leistungen, wie etwa niedergelassene Ärzte oder Medizinische Versorgungszentren (MVZ).
Wie schnell sich die Rechtsprechung des Landgerichts Dresden in der medizinischen Praxis durchsetzen wird, bleibt jedoch abzuwarten. Denn wenn Patienten eine Kopie ihrer Akte verlangen, betrifft dies vor allem zwei Fälle:
- Der Patient möchte seinen Arzt wechseln und die bisherige Krankenakte zum neuen Arzt mitnehmen.
- Und/oder der Patient hat den Verdacht, von seinem Arzt falsch behandelt worden zu sein und möchte nun eine Arzthaftung prüfen lassen.
Beide Fälle stoßen bei den betroffenen Ärzten schon per se auf wenig Begeisterung. Hinzu kommt, dass die Erstellung und der Versand von Patientenakten teilweise größeren Personalaufwand in der Praxis verursacht, z.B. weil es sich um sehr umfangreiche Akten oder großformatige Kurvenblätter, Röntgenbilder o.ä. handelt.
Einige (Zahn-)Ärztekammern raten ihren Mitgliedern deshalb sogar, die Kostenanforderung für eine Aktenkopie davon abhängig zu machen, auf welche Rechtsnorm der Patient seinen Anspruch stützt. Rechtlich gesehen ist eine solche Vorgehensweise natürlich nicht haltbar. Denn die Vorschriften der DSGVO genießen Vorrang, verdrängen also die Kostenpflicht aus § 630g Abs. 2 Satz 1 BGB (sog. „Anwendungsvorrang“, s.o.).
Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationssicherheit Rheinland-Pfalz hat dieses Thema sogar künstlerisch aufbereiten lassen:
Achtung: Nur erste Kopie kostenfrei
Kostenlos ist allerdings nur die erste Kopie der Patientenakte (vgl. Art. 15 Abs. 3 S. 2 DSGVO). Möchte der Patient dieselben Dokumente erneut kopiert haben (z. B. weil er die erste Kopie verlegt hat), kann der Arzt hierfür durchaus ein entsprechendes Entgelt verlangen. Gleiches gilt, wenn der Patient seinen Auskunftsanspruch missbraucht, z.B. permanent und exzessiv Kopien seiner Daten verlangt (vgl. Art. 12 Abs. 5 DSGVO).
Und die elektronische Patientenakte?
Bleibt zu guter Letzt noch die Frage: Ändert sich die Rechtslage durch die elektronische Patientenakte? Unsere Antwort hierauf lautet: Nein! Und zwar aus folgenden Gründen:
Was ist die ePA nochmal?
- Vor einiger Zeit hatten wir an dieser Stelle bereits über die flächendeckende Einführung der sog. elektronischen Patientenakte (ePA) berichtet. Die ePA gibt es für alle gesetzlich Krankenversicherten. In ihr können individuelle Patientendaten gespeichert und verwaltet werden (Arztbriefe, Befunde, Medikationspläne usw.). Spätestens ab dem Jahr 2022 sollen sämtliche Erbringer medizinischer Leistungen, also auch Krankenhäuser, dem System angeschlossen sein. Diejenigen Versicherten, die sich für eine ePA entschieden haben, können also theoretisch tagesaktuell und kostenlos ihre dort gespeicherten Gesundheitsdaten abrufen.
Warum kann ein Arzt in Zukunft nicht einfach auf die ePA verweisen?
- Möglicherweise werden Ärzte versuchen, das Kopieren von Akten, Befunden usw. zu vermeiden, indem sie ihre Patienten einfach auf die ePA verweisen. Die ePA gibt es allerdings nur für die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. Privatversicherte haben keine ePA. Außerdem ist selbst für die gesetzlichen Versicherten die Nutzung der ePA freiwillig. Die Versicherten dürfen also weder direkt noch mittelbar dazu gezwungen werden, die ePA zu nutzen.
- Im Übrigen ist die ePA lediglich eine sog. „Sekundärdokumentation“. Sie hat nur einen begrenzten Aussagewert, weil der Versicherte entscheidet, welche Daten gespeichert werden und welche nicht. Außerdem ist es nach dem aktuellen Stand der Technik möglich, dass Ärzte bestimmte Dokumente aus der ePA ihres Patienten löschen (z.B. veraltete oder fehlerhafte Dokumentversionen). Hierfür ist zwar grundsätzlich die Zustimmung des Patienten erforderlich. Die Frage ist aber, ob dieses Zustimmungserfordernis software-technisch hinreichend abgesichert ist. Beispiel: Der Arzt kann einen fehlerhaften Arztbrief nur dann löschen/ersetzen, wenn der Patient diese Aktion vorab elektronisch freigegeben hat.
- Neben der ePA wird es auch in Zukunft bei jedem Arzt und in jedem Krankenhaus eigene Unterlagen zum Patienten geben, die sog. „Primärdokumentation“. Diese enthält sämtliche Informationen zum jeweiligen Patienten und ist daher viel umfangreicher als der Inhalt der ePA. Gerade wenn Behandlungsfehler im Raum stehen, muss unbedingt die Primärdokumentation einsehen, da sich dort oft wichtiges Beweismaterial findet. Der Auskunftsanspruch des Patienten bezieht sich daher auch zukünftig immer auf die Primärdokumentation. Der betroffene Arzt kann den Patienten also nicht einfach auf eine möglicherweise existierende ePA verweisen.
von Rechtsanwältin Dr. Yvonne Schuld, LL.M.