Sterbewilliges Ehepaar scheitert vor BVerfG
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat eine Verfassungsbeschwerde für unzulässig erklärt, mit der ein älteres, sterbewilliges Ehepaar ein tödliches Arzneimittel einklagen wollte (BVerfG, Beschl. v. 10.12.2020, Az. 1 BvR 1837/19). Das Ehepaar (geb. 1937 und 1944) hatte vor sieben Jahren beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Erlaubnis zum Erwerb von tödlichen Medikamenten für einen gemeinsamen Suizid beantragt. Die Eheleute sind – abgesehen von alterstypischen Gebrechen – nicht krank. Sie haben mehrere Kinder und Enkelkinder. Allerdings fürchtet das Paar, durch Demenz oder Krebs einen qualvollen Tod zu erleiden. Im Übrigen ist es der gemeinsame Wunsch, den Lebensabend nicht ohne den anderen verbringen zu müssen.
Gang durch die Instanzen – Teil 1
Das BfArM lehnte den Antrag der Eheleute auf tödliche Medikamente ab. Daraufhin zog das Ehepaar vor die Verwaltungsgerichte – und scheiterte in allen Instanzen. Auch eine zwischenzeitlich ergangene Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 02.03.2017, Az. 3 C 19.15), wonach bei extremen krankheitsbedingten Notlagen der Erwerb tödlicher Medikamente zum Zwecke der Selbsttötung ausnahmsweise doch zuzulassen ist, half den Eheleuten nicht weiter. Denn bei ihnen bestand ja gerade keine krankheitsbedingte Notlage.
Das Paar legte daraufhin Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Hier bestanden zunächst gute Aussichten, dass sich das Blatt zu Gunsten des Ehepaars wenden würde. Denn in einer aufsehenerregenden Entscheidung vom 26.02.2020 hatte der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts die Tätigkeit von Sterbehilfeorganisationen legalisiert und darüber hinaus festgestellt, dass sogar gesunden Menschen ein Recht auf Selbsttötung bzw. Sterbehilfe zustehe (BVerfG, Urt. v. 26.02.2020, Az. 2 BvR 2347/15).
Paradoxerweise führte aber gerade dieses Urteil dazu, dass das Ehepaar mit seiner eigenen Verfassungsbeschwerde letztlich scheiterte. Die Richter des zuständigen 1. Senats vertreten nämlich die Auffassung, dass Betäubungsmittelsuizide nun deutlich einfacher zu realisieren seien: Das Ehepaar könne seinen Sterbewunsch jetzt durch aktive Suche nach suizidhilfebereiten Personen im Inland, durch Bemühungen um eine ärztliche Verschreibung tödlicher Medikamente oder auf anderem Wege ganz konkret verfolgen. Schließlich sei die Tätigkeit von Sterbehilfeorganisationen ja explizit wieder erlaubt. Etwas anderes gelte unter Umständen, wenn sich herausstellen sollte, dass doch keine hinreichend praktischen und zumutbaren Möglichkeiten für eine Selbsttötung bestünden. Dies müsse aber zunächst von den Fachgerichte geprüft und entschieden werden. Im Übrigen benötige der Gesetzgeber auch die nötige Zeit, um Konzepte zur Neuregelung der Sterbehilfe zu erarbeiten. Würde man nun in diesem Einzelfall entscheiden, wäre die Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers faktisch vorweggenommen.
Gang durch die Instanzen – Teil 2?
Für die sterbewilligen Eheleute dürfte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ernüchternd sein. Nach einem jahrelangen Weg durch die Instanzen müssen sie – in deutlich fortgeschrittenem Alter – wieder ganz von vorne beginnen, um ihr Recht auf selbstbestimmtes Sterben zu realisieren. Dabei dürfte unstrittig sein, dass es in Deutschland auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus 2020 kaum Zugang zu seriösen Sterbehilfeangeboten gibt. Auch die Verschreibung tödlicher Medikamente durch Ärzte ist oft unmöglich. Denn in den meisten Bundesländern ist die Beihilfe zum Suizid noch durch ärztliches Standesrecht untersagt. Daher sind oft auch nur wenige Mediziner dazu bereit, Sterbewillige bei der Realisierung ihres Wunsches zu unterstützen.
Dieser Fall macht erneut deutlich, wie wichtig es ist, dass der Gesetzgeber zügig neue Regelungen zur Sterbehilfe erlässt. Sterbewilligen und deren Angehörigen, aber auch Ärzten und anderem medizinischen Personal ist die aktuelle Situation jedenfalls nicht länger zuzumuten. Denn so vielschichtig und kontrovers das Thema Sterbehilfe auch sein mag: Bei den meisten Betroffenen drängt schlichtweg die Zeit.
von Rechtsanwältin Dr. Yvonne Schuld, LL.M.